Reportage, Oktober 2010

Bangladesch - Wasserversorgung außer Kontrolle

Helmholtz-Zentrum testet in Bangladesch das neue Arsen-Test-Kit "ARSOlux"

Arsen ist ein Element, das zu diesem Planeten gehört, wie die Luft zum Atmen. Europäer bezeichnen es als "Schwiegermuttergift". Die Geschichte des Arsens ist jedoch keine Story, die man sich gelegentlich erzählt, um die abendliche Runde etwas aufzulockern. Das Element Arsen bedroht Millionen Menschen, von denen wir hier in Europa kaum etwas mitbekommen.

ARSOlux-Biosensor

ARSOlux Biosensor zur Arsendetektion. Der ARSOlux Biosensor emittiert Licht nach Kontakt mit im Wasser gelösten Arsen. Die Stärke der Lichtemission korreliert mit der Arsenkonzentration im Wasser.
Foto: André Künzelmann/UFZ

Prof. Hauke Harms, im Dorf Nawapara in Bangladesch während der Messkampagne

Der Mikrobiologe und Erfinder des ARSOlux-Verfahrens, Prof. Hauke Harms, im Dorf Nawapara in Bangladesch. Vor ihm seine Kollegin Carola Endes vom UFZ.

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Einer der zentralen Orte für diese unglaublichen Vorgänge ist das Land Bangladesch. Seit der Unabhängigkeit 1971 wurden hier mit Hilfe der UNICEF und anderer Organisationen über 11 Millionen Brunnen, darunter 3 Millionen Hausbrunnen gebohrt, um die Menschen mit sauberem Wasser zu versorgen. Doch in den oberen Erdschichten liegt ein Problem, mit dem niemand gerechnet hat. Über Tausende Jahre hat sich hier Arsen angesammelt. Die Folge: Die Menschen sterben nun nicht mehr durch verdrecktes Oberflächenwasser, sondern vergiften sich am Grundwasser. 35 bis 77 Millionen Bengali sind davon betroffen - die Schätzungen gehen weit auseinander. Doch selbst die niedrigste Annahme von 35 Millionen Menschen ist erschütternd. Man spricht von der größten Vergiftungswelle in der Geschichte der Menschheit.

Prof. Dr. Hauke Harms vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ in Leipzig wollte sich die Situation vor Ort ansehen. Gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam hat er ein Messverfahren entwickelt, das den Arsengehalt im Wasser nachweisen kann. Deshalb reiste er mit einem Leipziger Team nach Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Die Reise war gleichzeitig das erste Projekt des neuen Teams um den Biosensor ARSOlux. Ihr Ziel: Sie wollen das Testverfahren auf den Markt bringen. Eine Ausgründung steht in Kürze bevor. Im Boot sind die Ökonomin Sonja Hahn-Tomer, der Geograf Konrad Siegfried, die Biologin Carola Endes, der Mikrobiologe Antonis Chatzinotas und die Wirtschaftsingenieurin Karla Rohrberg.

Das Land Bangladesch ist etwas größer als Bayern und Baden Württemberg zusammen. Auf dieser Fläche leben doppelt so viele Einwohner wie in ganz Deutschland - 160 Millionen. Die Regierung allein ist nicht in der Lage, das Arsenproblem zu lösen. Übergeordnete Organisationen wie die UNICEF, die WHO oder die UNESCO müssen hier aktiv werden. Doch dafür muss das Land bereit sein. Denn da ist ein weiteres Problem: Arsenvergiftungen stehen nicht an erster Stelle der Agenda. Diesen Platz nehmen Hunger und Umweltkatastrophen ein. Das Land wächst aus dem Indischen Ozean. Die Hauptstadt Dhaka liegt nur 6 m über dem Meeresspiegel. Die Küstenregion Bangladeschs, und ihre 15 Millionen Einwohner, ist die weltweit am stärksten von der globalen Erwärmung betroffene Region, bezogen auf die Einwohnerzahl pro Quadratmeter. Wirbelstürme wie Zyklon Sidr im November 2007 fordern immer mehr Opfer. Diese treten vor allem im Frühling und im Herbst über dem Golf von Bengalen auf und überfluten weite Teile des Landes. Beinahe ein Viertel der Menschen leiden an Hungersnot. Sie sterben, bevor das Gift zum Zuge kommt.

Die Reise führte das Leipziger Team u.a. nach Nawapara, ein 5200-Einwohner-Dorf, zirka 25 km von der Hauptstadt Dhaka entfernt. Die Menschen leben in Wellblechhütten auf 10 bis 20 Quadratmetern. Kaum vorstellbar, wie sie hier während der Monsunzeit überleben. Immerhin hat jede Hütte einen kleinen Fernseher. Der Strom fällt mehrmals täglich aus. Durch die Klimaanlagen in den Städten ist das Netz chronisch überlastet. In diesem Dorf wurden 60 Brunnen getestet. Beinahe alle waren arsenhaltig. Wenige lagen im Bereich der Grenzwerte der WHO bei 10 Mikrogramm pro Liter. In der Regel wurden Werte zwischen 200 und 300 Mikrogramm gemessen.

"Ich weiß sehr viel mehr, als ich vorher wusste", sagt Hauke Harms nach diesem Tag. "Ich bin beeindruckt von den Leuten. Sie waren sehr freundlich, überhaupt nicht frustriert und sie wollen wissen, wie es um ihr Wasser steht. Das motiviert mich sehr, das alles voranzutreiben." Nach diesem Tag kann Prof. Hauke Harms noch schlechter schlafen. Neben der unerträglichen Hitze machen ihm nun auch die Menschen in dem Dorf und deren Geschichten zu schaffen. Das Arsenproblem kennen hier alle. Selbst die Kleinsten wissen, dass sie das Wasser theoretisch filtern müssten. Oft fehlt es an Geld für einen Filter. In der Regel sind die Brunnen jedoch nicht getestet. Ob das Wasser vergiftet ist oder nicht, zeigt sich nach Jahren. Die so genannte Arsenikosis beginnt mit Flecken auf der Haut bis zu schweren Hautschädigungen. Dann werden die Blutgefäße angegriffen, später die Organe, Krebsgeschwüre entstehen im Körper, bis der Tod eintritt.

Doch im Mittelpunkt der Reise steht nicht Nächstenliebe. Hier geht es vor allem um viel Organisation und um Aufklärung. Nächster Programmpunkt ist deshalb eine Tagung. Hier sollen die Entscheider zusammen kommen. Das Produkt "ARSOlux" muss an den Mann gebracht werden. Das Interesse ist groß. Aber das Ergebnis bleibt offen. Hilfe von der Regierung scheint es nicht zu geben. Dr. Salamat Khandker, Mediziner und Mitarbeiter bei der WHO in Bangladesch sagte beim Mittagessen: "Das Problem Arsen ist nicht von uns geschaffen. Es sind die geologischen Strukturen. Wir können nichts dafür, dass unser Wasser voller Arsen ist. Deshalb brauchen wir Hilfe von außen. Die Regierung hat keine Ressourcen mehr. Außerdem haben wir andere Probleme, die dringender sind. Die Umweltzerstörung zum Beispiel. Das Land säuft regelmäßig ab, und alles, was die Leute geschaffen haben, wird weggeschwemmt. Dann der Hunger. Warum sollen sich die Leute für Arsen im Wasser interessieren, wenn sie froh sind, heute etwas zu essen zu finden, um nicht gleich morgen zu sterben."

Das ARSOlux Team hat sich mit Bangladesch einen der schwierigsten Märkte weltweit ausgewählt. Das Team wollte einen Überblick über die Situation vor Ort bekommen und Kontakte knüpfen. Das Ergebnis ist nach wenigen Tagen klar: Erstes Ziel für das Produkt ARSOlux soll erst einmal der europäische Markt sein. Auch hier gibt es Arsenvorkommen im Grundwasser. Allein Deutschland verfügt über 100 000 Brunnen. Die Wasserproben sollen an einer zentralen Stelle getestet und die Ergebnisse verschickt werden. Die Kommunikation wird vor allem über eine Internetplattform realisiert.

"Um den Menschen in Bangladesch zu helfen, müssen wir einen weiten Weg gehen", sagt Konrad Siegfried vom UFZ, der die längste Zeit in Bangladesch verbracht hat. "Die Bevölkerung muss besser aufgeklärt werden. Kampagnen, die die Leute vor dem Gift warnen, gibt es nicht. Das wäre der erste Schritt. Und dann müssen wir uns in die Menschen hinein versetzen. Man muss lernen, wie sie zu denken. erst dann haben wir eine Chance zu helfen. "
Autorin: Annegret Faber

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 900 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 28.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 16 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 2,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).